BRG Keplerstraße, Graz
Der Effekt, dass Wasser, das zuvor erhitzt wurde, schneller gefriert als kaltes Wasser, war schon Aristoteles bekannt: Er betrachtete diese Beobachtung als Bestätigung seiner „Antiperistasis“-Theorie. Diesem Konzept zufolge nimmt die Intensität eines Merkmals plötzlich zu, wenn in der Umwelt das gegenteilige Merkmal zunimmt.
Mit der Widerlegung der Antiperistasis geriet dieses Phänomen wieder in Vergessenheit, bis es 1963 von Erasto Mpemba, einem tansanischen Schüler, wiederentdeckt wurde. Er beobachtete, dass heiße Milch schneller gefriert als kalte. Als Mpemba seinen Physiklehrer auf seine Beobachtung ansprach, wurde ihm versichert, dass er falsch liegen müsse, da dies schlichtweg unmöglich sei. Zum Glück kam bald darauf Dr. Osborne, ein Hochschulprofessor für Physik, an die Schule und wurde von Mpemba auf seine Beobachtung angesprochen. Auch Osborne war zuerst skeptisch, versprach aber, die Behauptung von einem Mitarbeiter überprüfen zu lassen. Nach mehreren Experimenten, die Mpembas Behauptung stützten, publizierten Mpemba und Osborne schließlich gemeinsam die Erkenntnis, dass dieser Effekt existiert [1, 2].
In der Folge wurden aber auch andere Ergebnisse von Experimenten publiziert, bei denen dieser Effekt nicht auftrat. Dies legt die Annahme nahe, dass es von den konkreten Rahmenbedingungen abhängt, wie schnell erhitztes Wasser im Vergleich zu kaltem Wasser tatsächlich gefriert [3].
Der Effekt, bei dem vormals heißes Wasser schneller Eiskristalle bildet als vormals kaltes Wasser
Wie kann man den Effekt erklären?
Konvektion (Abb. 1)
Da die Abkühlung vor allem an der Wasseroberfläche stattfindet, spielt die Oberflächentemperatur eine entscheidende Rolle für die Geschwindigkeit der Abkühlung. Durch eine höhere Kerntemperatur, wie sie bei der wärmeren Flüssigkeit gegeben ist, ist der Temperaturunterschied zwischen
Oberfläche und Kern der Flüssigkeit größer: Es kommt bei der heißeren Flüssigkeit zu stärkerer Konvektion als bei der kalten und somit zu einer höheren Wärmeabgabe. Dieser Effekt hält auch noch an, wenn beide Flüssigkeiten die gleiche Kerntemperatur haben [2].
Unterkühlung
Eine andere Erklärung findet sich bei Bregovic: Durch das Herabsetzen des Gefrierpunktes (Unterkühlung) braucht das kalte Wasser länger zum Gefrieren als die heiße, nicht unterkühlte Flüssigkeit. Es ist grundsätzlich möglich, durch vorheriges Erhitzen die Unterkühlungstemperatur zu erhöhen oder zu senken. Die Richtung der Änderung hängt von der genauen Beschaffenheit der Wasserprobe und des Gefäßes ab, je nachdem, ob es sich beispielsweise um einen Glaszylinder oder eine tönerne Schale, oder um Milch anstelle von Wasser handelt [4].
Verdunstung:
Bei der heißen Flüssigkeit verdunstet mehr Wasser als bei der kalten, weshalb einerseits weniger Wasser übrig ist, das abgekühlt werden muss. Andererseits wird ein Teil der Wärme in Verdampfungswärme umgewandelt, was zu einer zusätzlichen Abkühlung der heißen Probe führt. Jedoch betrug der Masseunterschied vor und nach dem Experiment nie mehr als 3 %, weshalb der Effekt, dass weniger Masse abgekühlt werden muss, vernachlässigbar sein sollte. Auch die höhere Verdampfungswärme kann den Mpemba-Effekt nicht alleine erklären, da irgendwann das heiße Wasser die Anfangstemperatur des kalten Wassers
erreicht hat und dann die Abkühlkurve der ehemals heißen Flüssigkeit gleich verlaufen müsste wie die der kalten Flüssigkeit [3].
Wasserstoffbrückenbindungen (Abb. 2):
Die vielleicht plausibelste Erklärung geht davon aus, dass durch das Erhitzen viele Wasserstoffbrückenbindungen aufgebrochen werden und der Abkühlprozess so schnell verläuft, dass sie sich nicht mehr neu bilden können. Das führt zu einer größeren Entropie bei dem vorher erhitzten
Wasser. Irgendwann haben dann die beiden Wasserproben dieselbe Temperatur, aber die vorher erhitzte Wasserprobe hat noch immer eine größere Entropie und somit eine größere Wahrscheinlichkeit für Molekülkollisionen. Die Moleküle verlieren mehr kinetische Energie, die Temperatur der Wasserprobe sinkt. Dadurch gefriert warmes Wasser
schneller als kaltes – aber nur, wenn der Abkühlvorgang hinreichend schnell abläuft und das Wasser so hoch erhitzt wurde, dass genug Brückenbindungen aufbrechen [4]. Es gibt noch weitere Erklärungsversuche. Wahrscheinlich spielt die Kombination mehrerer Effekte eine Rolle.
Was lernen wir vom Mpemba-Effekt für die Wissenschaft?
Der Mpemba-Effekt ist in vielerlei Hinsicht interessant. Zum einen sehen wir, wie kompliziert manche Alltagsphänomene sein können, wenn man sie genau genug untersucht. Schließlich geht es nur um die Zeit bis zum Gefrieren einer Flüssigkeit, und dennoch gibt es keine vollständig bestätigte Theorie dazu [1]. Keine der bisherigen Theorien konnte den
Effekt bisher alleine erklären, womit eine Kombination verschiedener Ursachen auf der Hand liegt. Bregovic schreibt dazu sehr passend, dass sich hinter dem Problem, den Effekt endgültig zu klären, anscheinend ein grundsätzliches theoretisches Problem verbirgt [4].
Aus der Geschichte des Mpemba-Effektes lernen wir, dass in der Wissenschaft Beobachtungen von Nicht-WissenschaftlerInnen oft nicht ernst genommen werden. So hatte der Physiklehrer von Erasto Mpemba seine Beobachtung sofort als falsch abgestempelt, ohne selbst das Experiment durchgeführt zu haben. Und damit ist er nicht der einzige, denn noch immer stehen viele WissenschaftlerInnen dem Mpemba-
Effekt sehr skeptisch gegenüber, obwohl er bereits mehrfach unter bestimmten Bedingungen experimentell nachgewiesen wurde. Der Wissenschaftstheoretiker Kuhn schreibt, dass Wissenschaftler stets dazu
neigen, Experimente vor dem Hintergrund des herrschenden Paradigmas zu sehen [5].
Das führt zu gewissen Problemen, denn in der Physik müssen stets Theorien mit Experimenten verifiziert oder falsifiziert werden und Experimente stellen sicher, dass der Bezug zur Realität gegeben ist.
Wenn aber nur experimentelle Ergebnisse akzeptiert werden, die dem theoretischen Modell entsprechen, dann droht ein Stillstand in der Wissenschaft, da Theorien nicht mehr überarbeitet werden und neue Theorien a priori abgelehnt werden [5]. So hat sich auch der von Osborne beauftragte Mitarbeiter verhalten: Nach dem ersten Experiment, das
den Mpemba-Effekt bestätigte, versicherte er, er werde den Versuch so oft wiederholen, bis er das erwartete Ergebnis erhielte [2]. Nach weiteren Wiederholungen musste er seine Meinung ändern, wodurch uns bis heute ein nicht wirklich erklärtes Phänomen beschert wurde.
Quellen
[1] Jeng, M. (2006). The Mpemba effect: When can hot water freeze faster than cold? American Association of Physics Teachers; 74: 514–522.
[2] Mpemba, E.B. & Osborne, D.G. (1969). Cool? Physics Education; 4: 172-175.
[3] Tyrolivas, I.J. (2017). Explanation for the Mpemba Effect. Journal of Modern Physics; 8: 2013-2020.
[4] Bregović, N. (2013). Mpemba effect from a viewpoint of an experimental physical chemist. http://www.rsc.org/ [7.2.2019]
[5] Kuhn, T.S. (1970). The Structure of Scientific Revolutions. Chicago: University Press.
Abbildung 1: https://commons.wikimedia.org/wiki/
File:Convection.gif#/media/File:Convection.gif [7.2.2019]
Abbildung 2: https://commons.wikimedia.org/wiki/
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