Akademisches Gymnasium, Graz
Liegt der sogenannte Body Mass Index über 30, spricht man von Adipositas, extremer Fettleibigkeit, die zu Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfall und Herzinfarkt führen kann (Schermaier u.a., 2011).
Menschen, die unter dieser Erkrankung leiden, werden in unserer von Schönheitsidealen geprägten Welt oft diskriminiert. Fettleibige Personen werden mit Vorurteilen konfrontiert wie Faulheit und Trägheit. Adipositas kann aber somatische oder psychische Ursachen haben und ist oft nicht allein auf mangelnde Zurückhaltung beim Essen zurückzuführen. MedizinerInnen unterscheiden zwischen „normaler“ und psychisch bedingter Adipositas. Nur im zweiten Fall spricht man von Essucht (Preiß & Wilser/Abas-Stuttgart.de, 2012).
WIESO HABE ICH HUNGER?
Wir kennen es alle: Wenn der Hunger ruft, müssen wir essen. Aber wieso? Die Antwort liegt in den Hormonen
. Wenn wir Hunger empfinden, ist unser Blutzuckerspiegel zu niedrig. Die Bauchspeicheldrüse schüttet ein Hormon namens Glukagon aus (Abb. 1). Dieses bewirkt, dass die Speicherform des Einfachzuckers Glukose, „Glykogen“ genannt, aus der Leber und den Muskelzellen zur Energiegewinnung bereitgestellt wird. Daraufhin werden im Nebennierenmark bzw. der Nebennierenrinde die Hormone Adrenalin und Cortisol produziert, welche appetitanregend wirken. Die Folge: Wir wollen essen. Sobald wir Nahrung zu uns genommen haben, werden die Hormone Insulin aus der Bauchspeicheldrüse und Leptin aus den Fettzellen und der Magenschleimhaut produziert, welche die Umformung von Glukose in Glykogen bewirken. Als Reaktion darauf schütten die sogenannten Raphe-Kerne (Neuronen, die sich vom Mittelhirn bis ins verlängerte Mark erstrecken) ein anderes Hormon aus, das Serotonin, das unseren Appetit zügelt und als „Wohlfühlhormon“ dient: Bei Serotoninmangel können Depressionen entstehen. Isst man mehr als nötig, reicht der Glykogen-Speicher nicht mehr aus. Die Glukose muss in Fett umgewandelt werden, welches sich entweder als LDL an Gewebe bindet, oder in Form von HDL wieder ausgeschieden wird.
–> ABB. 1!!!
KÖRPERLICHE URSACHEN VON ADIPOSITAS
Adipositas kann sehr unterschiedliche Ursachen haben. Im 20. und 21. Jahrhundert wurde und wird viel dazu geforscht, was zur Folge hat, dass es eine ganze Reihe verschiedener Theorien gibt: Die Weltgesundheitsorganisation hat Stress zur größten Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts ernannt. Ein Grund ist, dass Stress zu einer Adrenalinausschüttung führt, welche die Freisetzung des Hormons Cortisol bewirkt, das den Appetit anregt. Außerdem greifen viele stressgeplagte Menschen schnell zu ungesunden Snacks, anstatt richtige Mahlzeiten einzunehmen (Ruess & Mai, 2007). „Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Adipositas könnte eine gestörte Appetitregulation spielen“, erklärte Professor Dr. Anette Grüters-Kieslich von der Berliner Charité bei einem Workshop. Forschungen weisen auf eine Mutation des Gens für die Leptinbildung hin.Wenn kein Leptin gebildet werden kann, führt das zu einem ständigen Hungergefühl.
Das gleiche kann übrigens auch ein Hirntumor bewirken, der Leptinrezeptoren im Gehirn zerstört (Heyn, 2013). Im Feld der Appetitforschung sind auch der Infektiologe Martin Blaser und seine Arbeitsgruppe unterwegs. Ihre Ergebnisse von Versuchen mit Mäusen lassen darauf schließen, dass eine übermäßige Einnahme von Antibiotika die Darmflora so verändern kann, dass es indirekt zu Übergewicht kommt. Dieser Effekt ist auch in der Landwirtschaft bekannt: So verabreichten US-Bauern schon in den 1940er Jahren ihren Tieren Antibiotika, um sie für den Verkauf zu mästen (Spiegel online, 2013). Möglicherweise werden Bakterien, die für die Entstehung des Sättigungsgefühls zuständig sind (bei Nahrungsaufnahme schütten sie ein Hormon aus), stark dezimiert. Der „Set Point Theorie“ zufolge ist unser „natürliches“ Gewicht genetisch gegeben und bewirkt, dass unser Körper mit Hilfe von Änderungen des Stoffwechsels gegen eine Gewichtsänderung ankämpft. Ein Versuch von Sims und Kollegen aus dem Jahr 1968 zeigte, dass die Versuchsteilnehmer 6000 bis 10000 kcal/Tag zu sich nehmen mussten, um ihr Gewicht um 15-25% zu steigern. Jedoch wurden weit mehr kcal benötigt, als rechnerisch zum Fettaufbau nötig gewesen wären. Dies beweist, dass der Körper gegen eine Gewichtsänderung ankämpft, was für die „Set Point Theorie“ sprechen könnte. Dennoch ist diese Theorie ist sehr umstritten (Wikipedia, 2013).
Die von dem Adipositasspezialisten Achim Peters in den Jahren 1998-2004 aufgestellte „Selfish Brain Theorie“ besagt, dass sich unser Gehirn, welches 50% der im Körper verfügbaren Glukose benötigt, immer zuerst versorgt, bevor andere Organe bedient werden. In einer Stresssituation, etwa bei emotionalem Stress, bei sportlichen Aktivitäten oder bei beruflichem Stress, gerät unser Gehirn sozusagen in Panik, dass es nicht genug Energie bekommen könnte, da andere Organe, zum Beispiel das Herz, in dieser Situation viel Glukose benötigen. Daraufhin lässt das Gehirn den Körper glauben, er müsse mehr Nahrung zu sich nehmen – obwohl eigentlich genug vorhanden wäre. Der Überschuss an Nahrung staut sich im Körper und muss abgelagert werden, was letztlich zu Adipositas führen kann (Wikipedia, 2013). Viele Nachtarbeiter müssen mit ihrem Gewicht kämpfen. Dr. Babic vom Landeskrankenhaus Leoben erklärt dies so: „Vereinfacht könnte man sagen, dass das Hormon Somatotropin im Schlaf die Fette zerlegt, um Energie bereitzustellen. Wenn Menschen aber zu wenig oder „zur falschen Zeit“ schlafen, geraten die innere Uhr und das Hormonsystem derart durcheinander, dass dies Adipositas begünstigen könnte.“
PSYCHOGENE ADIPOSITAS
Die psychogene Adipositas, die eigentliche Esssucht, ist eine Essstörung, eine psychische Krankheit, die zu Fettleibigkeit führt. Die Betroffenen greifen zum Essen, um psychische Belastungen zu verdrängen. So kann Essen zur Sucht und damit zum Problem werden. Im neuen amerikanischen Psychiatriehandbuch DSM-5 ist erstmals von Verhaltenssüchten die Rede, da bestritten wird, dass Nahrung an sich süchtig machen kann (Hucklenbroich, 2013). Doch noch immer gibt es in der Öffentlichkeit und zwischen WissenschaftlerInnen Diskussionen darüber, denn es gibt sowohl Belege dafür als auch dagegen. Beim Essen wird das Hormon Serotonin gebildet, doch wenn man zu oft zu viel isst, nimmt die Sensibilität dafür ab. In der Folge braucht der Körper immer mehr Nahrung, um entsprechend mehr von dem Hormon zu produzieren. Doch wegen des gestörten Verhaltens der Betroffenen und weil ein einziges Nahrungsmittel an sich nicht süchtig machen kann, ordnen WissenschaftlerInnen diese Erkrankung den Verhaltenssüchten zu. Ob nun somatisch oder psychisch bedingt, die Übergänge sind fließend. Auf jeden Fall ist Adipositas eine ernstzunehmende Erkrankung.
HILFE
Wer glaubt, unter Adipositas zu leiden, sollte unbedingt zu einem Arzt gehen und sich medizinisch untersuchen lassen. Ist die Adipositas somatisch oder psychisch bedingt? Wenn das einmal geklärt ist, kann eine (Psycho-)Therapie oder eine medikamentöse oder chirurgische Behandlung zur Gewichtsreduktion verordnet werden, falls die Ursachen therapierbar sind. Auch die Möglichkeit einer Adipositasberatung ist gegeben, sowohl im Internet als auch persönlich. Als seelische Begleitung, keinesfalls aber als alleinige Therapie können Selbsthilfegruppen dienen, etwa der „Verein Adipositas Selbsthilfegruppen Österreich“.
Abbildungen: Autorin
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Quellen • Heyn, Gudrun (2013): Fehler in der Appetitregulation. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=6268 [2.11.2013] • Hucklenbroich, Christina (2013): Wenn der Appetit unbezwingbar ist. Frankfurter Allgemeine Zeitung • Preiß, Dagmar, Wilser, Anja (2012): http://www.abas-stuttgart.de/content/adiposi.htm [2.11.2013] • Anette Ruess, Jochen Mai (2007): Stress – und keine Ende. http://www.handelsblatt.com/karriere/nachrichten/volkskrankheit-stress-und-kein-ende/2788788.html [2.11.2013] • Schermaier, Andreas; Taferner, Franz; Weisl, Herbert (2011): Bio@school. 5 Aufl age, Linz: Veritas. • http://de.wikipedia.org/wiki/Set-Point-Theorie [2.11.2013] • http://de.wikipedia.org/wiki/Selfi sh-Brain-Theorie#Adipositas_.E2.80.93_ein_.E2.80.9AStau_in_der_Lieferkette.E2.80.99 [2.11.2013] • http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/antibiotika-bei-saeuglingen-erhoeht-das-risiko-fuer- uebergewicht-a-851743.html [2.11.2013]